EVA RÜMMELE

(INTERVIEW + INDOOR FOTOS VON: JULIA KOCH)

Eva Rümmele ist in Graz geboren und aufgewachsen und hat als abenteuerlustiges Stadtkind im Grazer Bergland zum Sport in der Natur gefunden - das Mountainbiken wurde ihre Leidenschaft. In den späten Neunzigern und Anfang der Zweitausender war sie in Österreich eine von sehr wenigen Frauen in diesem Sport, ist nationale Rennen im Bereich Mountainbike Downhill und zwei World Cups gefahren. Sie ist außerdem eine von drei Gründerinnen des Radsportvereins velochicks und Mutter zweier Söhne. Darüber hinaus gibt sie seit zehn Jahren Fahrtechnikkurse für Mountainbikerinnen, wenn sie nicht selbst grade mit dem Mountainbike unterwegs ist.

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"Je mehr wir sehen, was machbar ist, umso mehr Frauen werden sich trauen."

DU BIST IN GRAZ GEBOREN UND AUFGEWACHSEN UND HAST AUCH IN GRAZ SPORTWISSENSCHAFTEN STUDIERT. BIST DU IN EINER SPORTLICHEN FAMILIE GROSS GEWORDEN?

Mein Vater war recht sportlich. Meine Mama ist am Bauernhof aufgewachsen. Ihre Familie machte gelegentlich eine Sonntagswanderung, aber abgesehen davon war es nicht üblich, Sport zu betreiben. Aber der Papa hat mir die Grundsportarten wie Skifahren, Eislaufen und Schwimmen beigebracht. Ich war ein sehr aktives Kind, bin draussen unterwegs gewesen - mit dem Rad oder im Hof, bin auf Bäume geklettert - ich wollte mich einfach immer bewegen.

UND WIE KAMST DU ALS STADTKIND DANN ZUM MOUNTAINBIKE?

Graz liegt ja in einem Kessel und ist umgeben von Hügeln mit vier-, fünfhundert Höhenmetern. Das Grazer Bergland ist ideal zum Mountainbiken. Auf den Schöckl rauf fährt man sogar über tausend Höhenmeter von Graz aus. Man kann sich in der Stadt auf’s Bike setzen, hat eine Viertelstunde Anfahrt und kann dann rund um die Stadt überall gleich rauf. Ich war ein Jahr Au-pair in Frankreich, und als ich zurückgekommen bin, hatte sich mein Bruder ein Moutainbike gekauft. Das hat mir total gefallen. Ich hab mir dann sofort auch ein Mountainbike gekauft und bin mit meinem Bruder mitgefahren. Ihn hat’s dann bald nicht mehr interessiert, aber ich bin begeistert gewesen und bin weiterhin gefahren.

WIE KAM ES ZUR ENTSCHEIDUNG, VOM FREIZEITMOUNTAINBIKEN IN DIE PROFESSIONELLE LIGA ZU WECHSELN?

Zuerst war das Mountainbiken mein Hobby. Ich hab dann mal einen Marathon ausprobiert, aber das war mir zu langweilig. Ich war vom Hochfahren schon so erschöpft, dass mir das Runterfahren dann auch keinen rechten Spaß mehr gemacht hat, obwohl es eigentlich meine Leidenschaft war. Aber dann hab ich das Downhill-Fahren entdeckt und mir das passende Rad gekauft. Wobei das bei meiner Größe mit 1,62 nicht einfach war. Das Mountainbiken war Ende der Neunziger noch eine Männerdomäne und so wurden nur Männerräder gebaut. Die kleinsten Männerräder waren für mich eigentlich immer noch zu groß, aber ich hab mich daran gewöhnt. Jedenfalls gab es damals noch keine Bikeparks und die Lifte haben niemanden mit hochgenommen, der/die privat mit dem Bike unterwegs war. Man durfte nur mit, wenn man ein Rennen gefahren ist. Das war einer der Gründe, warum ich dann angefangen habe, an Downhill-Rennen teilzunehmen. Die Sportart kam in Österreich meines Wissens erst Mitte der 1990er auf - also eine junge Sportart - und 1999 bin ich eingestiegen. Das heißt, wir waren damals alle AnfängerInnen und haben uns da einfach ausprobiert. Ich war ganz zu Beginn recht furchtlos - es war mir einfach egal, wenn ich gestürzt bin. Vollkommen egal. Ich hab mir zwar ein paar Mal die Finger gebrochen und auch die Hüfte angeknackst, aber mich nie wirklich schwer verletzt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das dazugehört, das Stürzen… Für mich war das damals nicht schlimm. Ich hatte schon auch manchmal Angst, war oft zögerlicher und vorsichtiger als meine männlichen Kollegen, aber ich hatte auch das Vertrauen, dass alles gut gehen würde.

DU HAST BEREITS GESAGT, DAS MOUNTAINBIKEN WAR EINE MÄNNERDOMÄNE. HATTEST DU DENN KEINE WEIBLICHEN KOLLEGINNEN?

Es gab schon einzelne Mountainbikerinnen. Die waren allerdings über ganz Österreich verteilt. Wir haben uns bei den Rennen getroffen, aber uns nicht abseits davon gesehen und nicht miteinander trainiert. Wir hatten bei den Rennen dann zwar eine eigene Wertung, sind aber die selben Strecken wie die Männer gefahren. Das ist heute auch noch so. Eine Gemeinschaft, in der man auf Gleichgesinnte trifft, hat damals komplett gefehlt. Und da mir die Männer sportlich doch oft überlegen waren, war das immer wieder frustrierend. Mir haben manchmal Kolleginnen gefehlt, mit denen ich den Weg gemeinsam gehen hätte können.

DU BIST DANN VON 1999 BIS 2006 BEIM AUSTRIA CUP RENNEN IM BEREICH MOUNTAINBIKE DOWNHILL GEFAHREN. WELCHE DEINER QUALITÄTEN HABEN DIR ZU DEINEM SPORTLICHEN ERFOLG VERHOLFEN?

Die Begeisterungsfähigkeit. Wenn mir etwas wirklich Spaß macht, dann zieh ich das auch durch. Ich musste ja zum Beispiel auch die Gelder aufbringen, um bei den Rennen mitfahren zu können, was für mich zeitweise nicht einfach war. Ich hab studiert und musste mir das immer irgendwie zusammensparen. Sportkleidung hatte ich auch nicht. Aber das hat mich nicht gestört - ich bin einfach in der Schnürlsamthosen und mit Skihandschuhen gefahren. Das war mir völlig egal. Mein Drang, das zu tun, was mir Spaß macht, war weitaus größer. Auch der Vergleich mit den Anderen, der Wettbewerb, hat mich gereizt. Aber in erster Linie war es doch der Spaß.

 

 

"Ich hatte schon auch manchmal Angst, aber immer das Vertrauen, dass alles gut gehen würde."

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2007 BIST DU ZUM ERSTEN MAL MAMA GEWORDEN, 2009 KAM DANN DER ZWEITE SOHN ZUR WELT. WIE HAT DIE GEBURT DEINER SÖHNE DEIN LEBEN VERÄNDERT?

Sehr. Ich war damals richtig blauäugig - ich hab gedacht, ich mach jetzt einfach alles genau so weiter, nur eben mit Kind. (lacht) Ich musste dann doch reduzieren, aber aufgegeben hab ich das Biken nicht. Ich bin weiterhin gefahren und hab auch Kurse gegeben. Diese Zeit nur für mich - ohne Kinder - war mir immer sehr wichtig, und glücklicherweise ließ sich das in meiner Partnerschaft auch so umsetzen. Auch als ich gesagt hab, ich muss jetzt neun Monate (jeweils) nachholen, war mein Partner verständnisvoll. Er fährt selbst auch Mountainbike und die Kinder haben dann auch damit angefangen.

WAS WAREN IN DEINEN AUGEN DENN DIE HIGHLIGHTS DEINER KARRIERE?

Zweimal bin ich beim Weltcup in Schladming mitgefahren, was besonders schöne Erlebnisse waren, da die Rennen sozusagen zuhause stattgefunden haben. Dann Europameisterschaften in Graz - da bin ich zwar Vorletzte geworden, aber das war einfach ein sehr cooles Erlebnis, mit lauter Weltcup-Fahrerinnen im Rennen zu sein. Einige sind außerdem erst gar nicht an den Start gegangen, weil die Strecke so schwer war. Das war für mich also schon ein großer Erfolg.

DU BIST AUßERDEM MENTALTRAINERIN UND HAST DIE AUSBILDUNG ZUR SPORTMENTALTRAINERIN GEMACHT. WAS HAT DICH DAZU BEWOGEN?

Ich habe als Personal Trainerin gearbeitet und habe sowohl in diesem Bereich, als auch bei mir selbst die Sinnhaftigkeit von Mentaltraining erkannt. Wie schon erwähnt, bin ich selbst mit mehr Vorsicht und einem gewissen Zögern an bestimmte sportliche Herausforderungen herangegangen, als meine männlichen Kollegen. Ich denke, das liegt daran, dass Burschen schon seit jeher in das Rollenbild des furchtlosen und mutigen Mannes hineinwachsen - das wird von ihnen erwartet, während man bei Mädchen eher andere Qualitäten fördert. Das ist teils sicher genetisch verankert und wird durch die Sozialisierung beibehalten. Daher stürzen sich Burschen und Männer oft schneller und ungehemmter in risikoreiche Aufgaben ohne viel darüber nachzudenken. Das ist etwas, was wir Mädchen und Frauen teilweise erst erlernen müssen. Da kann Mentaltraining ansetzen. Meiner Erfahrung nach gehen Frauen tendenziell reflektierter und überlegter an eine Sache heran, was ebenfalls seine Vorteile hat und ein möglicher Weg ist. Mentaltraining hilft, die Dinge zu fördern, die man ergänzend noch brauchen kann. Parallel mit dem technischen Wissen das Radfahren betreffend, kann man also auch ein gewisses Mindset aufbauen. Betrifft natürlich nicht nur das Biken, sondern auch jeden anderen Lebensbereich. Ich konzentriere mich auf Mentaltraining in Kombination mit Bewegung.

DU BIST AUCH ATHLETIKTRAINERIN BEI FUßBALL JUGENDMANNSCHAFTEN. WIE KAM DAS?

Dazu gekommen bin ich über meine Kinder, die irgendwann das Fußballspielen mehr angezogen hat als das Mountainbiken. Erst habe ich also als Trainerin am Land die Gruppe trainiert, in der meine Burschen gespielt haben, die damals fünf und sieben waren. Später hab ich dann in Wien Gruppen im Alter von dreizehn bis achtzehn übernommen, was eine spannende Erfahrung war und ist. In der Stadt gibt es sehr viel mehr junge Fußballer mit Migrationshintergrund, die aus anderen Kulturen stammen. Ich war gespannt, wie die auf eine Frau als Trainerin reagieren würden. Bisher läuft das super. Das einzig Ungewöhnliche für mich ist, dass manche darauf bestehen, mich zu siezen, während sie den männlichen Trainer beim Vornamen oder einfach „Trainer“ nennen.

DU PRÄGST FÜR DEINE SÖHNE EIN AKTIVES, STARKES FRAUENBILD. WIE HOFFST ODER DENKST DU IHR VERSTÄNDNIS FÜR GESCHLECHTERROLLENBILDER ZU BEEINFLUSSEN?

Ich hoffe, dass es für sie selbstverständlich wird, dass man sich in einer Partnerschaft alle Aufgaben teilt, dass man die Arbeitszeiten aufeinander abstimmt und sich darum bemüht, beide Seiten gleichberechtigt miteinander zu vereinbaren. Mein Mann und ich sind da schon noch von unserer Elterngeneration geprägt. Er ist absolut bereit, eine für uns beide passende Lösung von Situationen und Aufgaben zu finden, aber oft bin doch ich diejenige, die dazu auffordern muss. Ich wünsche mir, dass das bei der nachkommenden Generation schon selbstverständlicher sein wird.

DU BEWEGST DICH NICHT NUR IN DEINEM PERSÖNLICHEN SPORTLICHEN WERDEGANG IM KREIS VIELER WEIBLICHER SPORTLERINNEN, DU HAST 2006 AUCH BEGONNEN MOUNTAINBIKEKURSE FÜR FRAUEN ZU GEBEN. DARÜBERHINAUS HAST DU GEMEINSAM MIT MARTINA WEINZETTL UND THERESA KELLERMAYER DEN RADSPORTVEREIN VELOCHICKS GEGRÜNDET. WAS ZEICHNET DIE VELOCHICKS AUS?

Für mich stand der Gedanke im Vordergrund, mit Sportlerinnen gemeinsam mountainbiken zu können, die auf einem ähnlichen Level sind wie ich oder ähnliche Bedürfnisse haben. Bei meinen männlichen Kollegen war es doch oft so, dass ich beim Bergauffahren als einzige Frau in gewissem Abstand hinter der Männergruppe hergefahren bin, und das gemeinsame Fahren ist mir abgegangen. Bei den velochicks sind wir also in erster Linie gemeinsam unterwegs - je nach Bedarf in unterschiedlichen Grüppchen - und in zweiter Linie geht es darum, einander zu unterstützen und zu fördern. Männern sind oft eher getrieben unterwegs und haben zum Ziel, möglichst viele Höhenmeter zu schaffen. Wir hingegen zelebrieren das Mountainbiken auf eine andere Art und Weise.

 

"Oft geht es darum, sich einfach zu überwinden, etwas trotz Angst zu tun - das lernt man beim Mountainbiken. Eine Qualität, die in jedem Lebensbereich hilfreich und notwendig ist."

 

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INWIEFERN SCHEINT DIR EINE ENTWICKLUNG DES BILDES DER WEIBLICHEN SPORTLERIN NÖTIG?

Es hat sich in den letzten Jahren ja schon einiges getan, aber bei weitem noch nicht genug. Ich denke, dass es viele Frauen sehr motivieren kann, Vorbilder zu entdecken, die ihnen aufzeigen, was sie selbst auch versuchen könnten. Letztes Jahr ist eine Neunundsechzigjährige zu den velochicks gestossen, die gerade mit dem Mountainbiken angefangen hat. Wenn diese Bilder sich verbreiten, denkt sich keine Dreißigjährige mehr, dass sie zu alt für den Sport sein könnte. Dasselbe gilt für Gedanken wie „Bin ich zu dick?“ oder „Bin ich zu schwach?“ - je mehr wir sehen, was machbar ist, umso mehr Frauen werden sich trauen. Ich denke also, es ist sehr notwendig, mehr und auch unterschiedliche Frauen im Sport sichtbar zu machen. Ich glaube, es bringt nicht viel, nur die makellose Topathletin zu präsentieren, mit der sich kaum eine Frau identifizieren kann. Man muss so viele Facetten wie möglich zeigen.

WARUM BRAUCHEN WIR WOMEN’S EMPOWERMENT IM SPORT?

In der konkreten Umsetzung am Bike hilft es mir einfach, Bikerinnen um mich zu haben, die ähnlich fahren und füreinander da sind. Jemanden vor Augen zu habe, die mir gekonnt einen Weg vorfährt, stärkt mein eigenes Selbstbewusstsein und meine Sicherheit. Wir Frauen haben außerdem eine andere Art, einander zuzusprechen. Ein Mann würde unter gewissen Bedingung vielleicht nur sagen: „Komm, geht schon!“, aber Frauen brauchen manchmal mehr Erklärung, die wir uns gegenseitig geben können. Wir reden mehr über unsere Ängste und Kommunizieren unsere Gedanken. Dieser Zugang hilft uns. Das heißt aber nicht, dass der männliche Zugang nicht hilfreich sein kann. Ganz im Gegenteil - von den Männern kann man lernen, einfach mal auszuprobieren, statt sich von Bedenken abhalten zu lassen. Ich profitiere definitiv von beiden Zugängen.

NIMMST DU DEINE ERFOLGSERLEBNISSE UND DIE STÄRKUNG, DIE DU IM SPORT ERFÄHRST, MIT IN ANDERE LEBENSBEREICHE?

Auf jeden Fall, ja. Ich hatte zum Beispiel immer sehr viel Angst, vor großen Menschenmengen zu sprechen. Aber beim Moutainbiken habe ich so oft erlebt, dass ich vor einem Sprung Angst hatte und ihn dann doch geschafft habe und nichts passiert ist - diese Erfahrung nehme ich überall hin mit. Oft geht es darum, sich einfach zu überwinden, etwas trotz Angst zu tun - das lernt man beim Mountainbiken. Eine Qualität, die in jedem Lebensbereich hilfreich und notwendig ist.

WIE KANNST DU PERSÖNLICH WOMEN´S EMPOWERMENT NOCH BRAUCHEN?

Ich finde es sehr wichtig, dass sich Frauen gegenseitig unterstützen und sich nicht nur als Konkurrentinnen betrachten. Das gilt nicht nur im Sport, sondern in jedem Betrieb oder Verein. Natürlich muss sich in jedem Gruppengefüge jede/r ihren/seinen Platz erkämpfen, aber darüberhinaus gibt es das Team - und dafür braucht man Bewusstsein. Mir persönlich gibt es Kraft, mich in einem weiblichen Umfeld zu bewegen. Unter Männern verlier ich mich leichter und mach eventuell eher einfach mit, was die Männer halt machen. Ich sehe mich beim Biken in einer Männergruppe manchmal im Unterschied zu den Männern und empfinde mich als die Schwächere. In einer Frauengruppe sehe ich mich von meinen eigenen Qualitäten umgeben und das stärkt mich. Ich denke, wir Frauen sollten nicht versuchen, die Männer zu kopieren, sondern eben unsere eigene Kraft entdecken und nutzen. Wir sind nicht nur „kleinere oder schwächere Männer“, sondern eben Frauen. Anders. Wir sind nicht weniger stark, sondern anders stark.

WAS MÖCHTEST DU SELBST ALS VORBILD KOMMENDEN EXPLORISTAS MITGEBEN?

Dass man seine eigene Begeisterung weitertragen soll. Wenn man einen inneren Drang hat, soll man diesem folgen. Frauen nehmen oft viel Rücksicht - auf die Kinder, den Partner, den Job - und vergessen oft auf sich und die eigenen Bedürfnisse. Wir müssen nachspüren, was wir in uns tragen, und das leben.