ANGELIKA KAUFMANN

(INTERVIEW + INDOOR FOTOS VON: JULIA KOCH)

Geli ist in den Bergen mit der Selbstverständlichkeit aufgewachsen, sich in der Natur zu bewegen - zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter, in jedem Gelände. Schon als Zweijährige stand sie auf den Skiern und entdeckte eine Leidenschaft, die mit ihr groß wurde. Heute gibt Angelika die Freude an der Bewegung in der Bergwelt als Ski- und Wanderführerin an andere weiter. Zudem ist sie als Ausbildnerin im Vorarlberger und im Österreichischen Skilehrerverband tätig und bildet Skilehrer aller Stufen aus. Auch als Bergretterin, Sprengmeisterin und Mitglied der Lecher Lawinenkommission verbringt Angelika ihre Zeit am Berg, denn der Vorarlbergerin bedeuten die Berge Freiheit.

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"Alle Träume können wahr werden, wenn wir den Mut haben, ihnen zu folgen."

DU BIST IN DEN BERGEN AUFGEWACHSEN. HATTEST DU SCHON ALS KIND DAS GEFÜHL DER VERBUNDENHEIT MIT DER DICH UMGEBENDEN NATUR? WARST DU GERNE DRAUSSEN?

Für mich war das einfach normal. Ich bin in Zug bei Lech geboren und groß geworden und habe die Sommer meist bei meinem Vater auf der Fiderepasshütte im Allgäu verbracht, umgeben von Blumenwiesen, markanten Felszacken, Bergseen, Murmeltieren und Steinböcken. Meine Eltern haben im Sommer die Alpenvereinshütte dort geführt und im Winter dann die Balmalp oberhalb von Zug. Das heißt, im Winter bin ich oft mit den Skiern oder mit dem Papa mit dem Ski-doo (Anm.: Schneemobil) in den Kindergarten oder in die Schule gefahren und mit dem Lift dann wieder heim. Ich bin also nicht umgeben von Bergen aufgewachsen, sondern wirklich am Berg. Immer wieder sind mich auch Freunde besuchen gekommen und haben einen Teil ihrer Ferien bei uns verbracht, und wir waren gemeinsam als Bergabenteurer unterwegs. Auch Cousins und Cousinen gab es viele. Ich war also nicht allein.

DU HAST FRÜH MIT DEM SKIFAHREN ANGEFANGEN. WER WAREN DAMALS DEINE LEH-RERINNEN ODER VORBILDER?

Mein Papa war Skilehrer und ich durfte in seinen Gruppen mitfahren. Ich war zwar immer die Kleinste, aber ich bin überall gut mitgekommen. Später hat mich der Papa dann auch zu den Skitouren mitgenommen und mir die Leidenschaft zu diesem Sport nicht nur vorgelebt, sondern weitergegeben. Er hat meinen Weg auf den Skiern begleitet.

RÜCKBLICKEND - INWIEFERN HAT DICH DAS DRAUßEN SEIN UND DIE GEMEINSAME AKTIVITÄT GEPRÄGT?

Ich habe die Leidenschaft von meinem Papa für seinen Beruf sehr deutlich wahrgenommen und ich wollte den Berg auch so kennen wie er. Wenn ich mit ihm am Gipfel gestanden bin, konnte er mir jeden umliegenden Gipfel beim Namen nennen. Und jetzt kenne ich auch jeden Gipfel. Außerdem kann man am Berg gut nachdenken und Dinge verarbeiten. Ich fühle mich am Berg frei und kann einfach im Moment sein. Besonders beim Skifahren - das stand bei mir immer an erster Stelle, deswegen habe ich in diesem Bereich meine Fertigkeiten auch so ausgefeilt.

GIBT ES BERG-ERLEBNISSE AUS DEINER KINDHEIT ODER JUGEND, DIE DIR BESONDERS IN ERINNERUNG GEBLIEBEN SIND?

Mein Cousin und ich durften einmal eine Gruppe erwachsener Touristen und ihren Guide über den Mindelheimer Klettersteig (Anm.: Klettersteig in den Allgäuer Alpen) begleiten. Wir fanden uns als Kinder mit dem Klettergurt und der ganzen Ausrüstung sehr cool und haben uns unterwegs ausgetobt - Gämse verjagt, Steine runter geworfen - lauter Dinge, die man am Berg eigentlich nicht machen darf. Aber für uns war der Berg einfach eine große Spielwiese. Die Erwachsenen, die dabei waren, haben gestaunt, wie frei wir Kinder uns bewegt haben.

WIE ODER WANN WURDE DIR KLAR, DASS DU DEINE LIEBE ZUM SKIFAHREN UND ZU DEN BERGEN ZUM BERUF MACHEN WOLLTEST?

Ich war im Sportgymnasium in Innsbruck im Internat und habe mir meine Freiheiten rausgenommen. Ich hab die Schulzeit so verbracht, wie ich das wollte, bis mein Papa zu mir gesagt hat, er finanziere mir mein Highlife in Innsbruck nicht mehr, das könne ich von nun an selber machen. Ich habe also eine Bewerbung geschrieben und eine Lehre im Hotel Post in Lech begonnen und meine Laufbahn als Hotel- und Gastgewerbeassistentin fortgeführt. Aber sobald Zimmerstunde (Anm.: Ruhestunde des Hotelpersonals) war, bin ich auf den Skiern gestanden - jede freie Minute. In dieser Zeit - mit fünfzehn etwa - habe ich gemerkt, ich möchte wieder mehr raus in die Natur und Ski fahren. Ich habe mir meine Woche Ferien also im Winter genommen und mich gemeinsam mit meinem Cousin bei einem Freeride Camp angemeldet, bei dem wir schlussendlich die einzigen zwei Teilnehmer waren und eine Woche lang quasi  einen Privatguide hatten. Wir waren mit dem damaligen Equipment und einem riesigen, total überfüllten Rücksack zwar schwer beladen und belastet und haben uns durch den Schnee gekämpft, aber dieses Abenteuer war absolut prägend. Wir mussten selbst die Touren für den nächsten Tag planen und durften erst danach zum Après-Ski losziehen. Das hat, denke ich, den Grundstein für mich gelegt. Danach habe ich dann gewusst, dass ich die Skilehrer-Ausbildung machen möchte.

 

 

"Man kann am Berg gut nachdenken und Dinge verarbeiten. Ich fühle mich am Berg frei und kann einfach im Moment sein."

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DU HAST DANACH EINE WEITERE AUSBILDUNG ZUM MENTALCOACH GEMACHT - WAS HAT DICH DAZU BEWOGEN?

Ich hatte irgendwann das Gefühl, sportlich im Skifahren auf einem sehr hohen Level angelangt zu sein. Ich habe mich dann ins Freeriden gestürzt und im Zuge dieser Laufbahn im Olympiazentrum in Dornbirn mit einem Mentaltrainer gearbeitet. Das war eine ungemein spannende Erfahrung - zu sehen, was er für Techniken anwendet, was das mit mir macht und wie mich das verändert. Und da das Motivieren anderer Menschen auch eine meiner Stärken ist, bin ich diesem Weg weiter nachgegangen. So bin ich also wieder hinter der Schulbank gelandet und habe die Ausbildung im Oktober 2018 abgeschlossen.

LASSEN SICH DEINE BEIDEN BERUFSBEREICHE VERBINDEN?

Ich möchte ganz klar das Mentaltraining mit dem Sport verbinden. Und auch ohne noch direkt Mentaltraining anzubieten, fließt das Erlernte schon ein, wenn ich Gruppen führe. Einfach durch die Art, wie ich selbst die Umgebung und die Natur wahrnehme, wie ich selbst den Sport betreibe und mich am Berg bewege bzw. worauf ich die TeilnehmerInnen aufmerksam mache. Da ich selbst gelernt habe, bestimmte Aspekte miteinzubeziehen, sind diese jetzt Gewohnheit und somit einfach ein Teil von mir, den ich an andere weitergebe. Ich spiele mit dem Gedanken zukünftig auch Camps zu leiten, in denen der Fokus nicht ausschließlich auf der sportlichen Leistung liegt, sondern bewusst auch auf unterstützendes Mentaltraining gelenkt wird.

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"Derzeit ist mein Ziel, jeden Moment möglichst passioniert und mit vollem Fokus zu erleben."

DU BIST UNTER ANDEREM BERGRETTERIN, SPRENGMEISTERIN UND MITGLIED DER LECHER LAWINENKOMMISSION. WIE KAMST DU ZU DIESEN POSTEN?

Angefangen habe ich eigentlich aus der Überlegung, bei einem Verein dabei sein und in einer Form unterstützen zu wollen. Da war die Bergrettung in meinem Fall einfach naheliegend. Wir erleben als BergretterInnen natürlich intensive und auch traurige Geschichten, aber diese Erfahrungen und auch das Teamgefühl, das ein ganz anderes ist, als in einer Gruppe, die sich auf Grund freundschaftlicher Verhältnisse trifft, bereichern mein Leben. Und das Lawinensprengen habe ich über meinen Papa kennengelernt. Ich bin mit ihm mitgegangen und habe dadurch meine Umgebung auf eine weitere Art und Weise besser kennengelernt. Man sichert die Pisten so gut wie möglich - und das ja nicht nur für sich selbst, sondern auch für anderen Menschen. Das ist mir ein Bedürfnis: Sicherheit zu geben. Auch in meinem Beruf als Guide ist mir das natürlich ein großes Anliegen, und durch die Erfahrungen beim Lawinensprengen eine zusätzliche Fähigkeit. Lawinensprenger sind bei jedem Wetter und abseits der Piste unterwegs. Wir erleben die Natur also hautnah und sehr direkt. Und die Verantwortung, die man damit manchmal auf sich lädt, ist nicht immer einfach auszuhalten - damit muss man lernen, umzugehen.

DEIN LEBEN DREHT SICH ALSO UM DEN BERG. GIBT ES AUCH ETWAS ABSEITS DAVON?

Die Berge nehmen sehr viel Raum in meinem Leben ein, ja. Aber besonders durch meinen Partner habe ich auch andere Seiten in mir entdeckt. Er wohnt im Rheintal, nicht am Berg, und hat ganz andere Leidenschaften als ich. Er ist sehr kunst-affin, er liebt den Motorsport, er segelt gern. Wir sind sehr verschieden - ich kann ihn also in meine Welt entführen und er mich in seine.

AUF DEINER WEBSITE SCHREIBST DU: „WANDERN INSPIRIERT, ES SCHENKT UNS ZEIT ZUM FANTASIEREN UND TRÄUMEN.“ WOVON TRÄUMST DU? WELCHE ZUKÜNFTIGEN ZIELE SCHWEBEN DIR VOR?

Wenn ich mir bisher Ziele gesetzt habe, dann war das immer an Leistung gekoppelt, und ich habe einen unglaublichen Ehrgeiz im Erreichen dieser Ziele entwickelt. Aber inzwischen habe ich entdeckt, dass es nicht mehr so wichtig ist, Ziele in dieser Form zu erreichen. Derzeit habe ich eher das Bedürfnis das Ziel auf dem Weg entstehen zu lassen. Aktuell ist mein Ziel, jeden Moment möglichst passioniert und mit vollem Fokus zu erleben. Wenn ich jetzt also grade im Tal bin und Feigen dörre, dann will ich das mit all meinen Sinnen machen und mit meinem ganzen Dasein. Das hilft, der Schnelllebigkeit heutzutage etwas entgegenzuwirken. Andernfalls läuft man Gefahr, sich in der Getriebenheit zu verlieren, immer noch besser sein zu wollen, statt das Leben, das jetzt stattfindet, wirklich wahrzunehmen. Ich jedenfalls brauche diese Phasen, in denen ich ohne Ziel meine Zeit verbringe und mich regenerieren kann.

GIBT ES EIN ERLEBNIS ODER EINE ERRUNGENSCHAFT, DIE DU ALS DEINEN BISHER GRÖßTEN, PERSÖNLICHEN ERFOLG BEZEICHNEN WÜRDEST?

Ich bin wahnsinnig stolz darauf, dass ich eigentlich schon mein ganzes Leben lang sehr selbständig war und mir alles, was ich erreicht habe, selbst erarbeitet habe. Dass ich da bin, wo ich jetzt bin, habe ich aus eigener Kraft und Motivation geschafft.

 

 

"Dass ich da bin, wo ich jetzt bin, habe ich aus eigener Kraft und Motivation geschafft."

 

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BIST DU IN DEINER BISHERIGEN LAUFBAHN SCHON MAL ÜBER DAS THEMA DES SPEZI-FISCH WEIBLICHEN LERNUMFELDS IM SPORT GESTOLPERT? HAST DU ERFAHRUNGEN GEMACHT, DIE GEDANKEN ÜBER WOMEN’S EMPOWERMENT ANGEREGT HÄTTEN?

Ich bin, wie gesagt, eher in Gesellschaft von Jungs unterwegs gewesen. Zuerst mit meinen Cousins, dann mit den Kollegen in St. Christoph, und ich habe das immer als bereichernd wahrgenommen. Ich bin nie das Mädchen gewesen, auf das man Rücksicht nehmen hätte müssen. Ich habe locker mit den Jungs mitgehalten und auch deren Respekt gespürt. Mir wäre nie eingefallen, dass mir etwas fehlen könnte oder dass ich nicht gut genug für die Gruppe sein könnte. Es war eher so, dass ich eine positive Sonderstellung eingenommen habe, die ich sehr genießen konnte. Allerdings habe ich schon auch die Erfahrung gemacht, dass wenn man als Frau in einer Männerdomäne etwas sehr gut kann, manche Männer offensichtlich das Bedürfnis haben, die Betreffende ihre Macht spüren zu lassen. Das hat mich immer schon maßlos geärgert und ist auch heute noch etwas, womit ich nicht gut klar komme. Es gibt also durchaus Sinn, Initiativen wie die exploristas auf die Beine zu stellen, die hier ansetzen und im sportlichen Bereich weibliche Unterstützung und Stärkung fördern.

WAS BEDEUTET WOMEN’S EMPOWERMENT FÜR DICH?

Mir ist wichtig, dass nicht zwischen den Geschlechtern getrennt wird, denn die Realität sieht nun mal so aus, dass wir Menschen gemischt das Leben verbringen. Ich möchte Sportlerinnen dazu animieren, ihre Frau nicht nur in einem weiblichen Umfeld stehen zu können. Kostet halt viel Nerven. Man braucht meiner Meinung nach schon eine dicke Haut dafür, und man muss auch einstecken können. Um strahlen zu können - im Sinne von choose to shine - muss man eben auch den ganzen Weg dorthin gehen. Es braucht schon auch eine gewisse Resilienz. Und die Unterstützung, die wir uns gegenseitig geben können, hilft dabei. In einer Frauengruppe kann man das dafür nötige Selbstvertrauen aufbauen.

HAST DU ERFAHRUNGEN MIT ALL-FEMALE SPORTGRUPPEN GEMACHT?

Ich war als Guide bei Lorraine Hubers „Women’s Progression Days“ dabei. Dort habe ich übrigens auch Regina Knünz wieder getroffen. Ich hatte schon von den exploristas gehört und Regina dann drauf angesprochen. So sind wir zusammengekommen.

HÄLST DU ES FÜR WICHTIG, DASS KOMMENDE GENERATIONEN MIT EINEM NEUEN MÄDCHEN- UND FRAUENBILD IM SPORT AUFWACHSEN?

Ja. Durch meinen Weg, der viel von Jungs und männlichen Kollegen begleitet wurde, ist das für mich allerdings schon selbstverständlich. Mir ist aber klar, dass nicht alle Mädchen und Frauen so aufwachsen. Meine Oma hat acht Kinder gehabt und hat jetzt zwanzig Enkelkinder, davon zwölf Mädels. Und von der Oma haben wir Mädels oft gehört, schaut’s dass die Buaben was zu trinken und zu essen haben. Diese Einstellung macht etwas mit uns und wird ethisch verankert. Die Rollen in meiner Partnerschaft sind nach traditioneller Vorstellung manchmal vertauscht, aber nicht aus Prinzip, sondern weil unsere jeweiligen Stärken so liegen. Nichtsdestotrotz genieße ich den Gentleman in meinem Freund.

WAS MÖCHTEST DU SELBST ALS VORBILD KOMMENDEN EXPLORISTAS MITGEBEN KÖNNEN?

Alle Träume können wahr werden, wenn wir den Mut haben, ihnen zu folgen. Walt Disney war das. Das ist mein Mantra und das glaube ich auch: Wir brauchen nur den Mut dazu.