ANJA SCHMIDT

(INTERVIEW + INDOOR FOTOS VON: JULIA KOCH)

Anja ist exploristas Mastermind + Gründerin. Sie bringt sich nicht nur als leidenschaftliche Sportlerin und überzeugte Frauen-Förderin ein, sondern auch mit ihrer beruflichen Expertise als Anwältin/Unternehmensjuristin und mit ihrem Medien-Netzwerk. Neben all ihren beruflichen Tätigkeiten bleibt in ihrem Leben aber genug Zeit für Sport, insbesondere für Skifahren + Mountainbiken.

ANJA SCHMIDT | Exploristas

 

"Ich bin überzeugt,
dass wir mit exploristas
einen Unterschied machen,
dass wir Spuren hinterlassen können
– und zwar nicht nur im
Schnee oder auf Trails."

DU WARST SCHON ALS KIND UND JUGENDLICHE SPORTLICH IMMER AKTIV. WOMIT HAST DU DENN ANGEFANGEN?

Mit drei Jahren bin ich auf Skiern gestanden, mit fünf hab ich dann mit Ballett und kurz darauf mit Leistungsturnen angefangen. Mit neun bin ich zum Handball gekommen, das habe ich zwanzig Jahre lang intensiv betrieben, auch in der Staatsliga A.

WAS HAT DICH IN DIESEN JAHREN ZUM SPORT GEZOGEN? HATTEST DU VORBILDER?

Ich bin in einer sportlich sehr aktiven Familie mit der Selbstverständlichkeit aufgewachsen, dass man sich gern “bewegt“. Außerdem war meine schwedische Oma eine begeisterte Handballspielerin. In Skandinavien ist Handball ja ein Breitensport. Ihren Fußstapfen und jenen meiner älteren Schwester bin ich freudigst gefolgt.

DU HAST ALSO ERFAHRUNG IM TEAMSPORT MIT MÄDCHEN UND FRAUEN. WIE HAST DU DAS DAMALS WAHRGENOMMEN?

Zu meinen Handball-Zeiten war mir der „Zauber des weiblichen Lernumfelds“, wie ich es heute nenne, noch nicht so bewusst. Ich habe eigentlich erst vor relativ Kurzem erkannt, was für eine wunderbare Wirkung „all-female“ haben kann und dass es einen Unterschied macht, ob mein sportliches Umfeld ausschließlich männlich, gemischt oder eben rein weiblich ist.

WELCHE ERFAHRUNGEN DAMIT SIND DIR BESONDERS IN ERINNERUNG GEBLIEBEN?

Nach der strapaziösen Anwaltsprüfung habe ich, statt wie die meisten anderen Strandurlaub im Süden zu machen, mit dem Mountainbike die Alpen überquert. Ich war gemeinsam mit meiner damaligen Burschengruppe 500 Kilometer und sechs Tage lang unterwegs, Wobei wir knapp 15.000 Höhenmeter zu meistern hatten. Und es war mein entspannendster Urlaub jemals - nur biken, essen, schlafen, sonst nichts.

WIE KAM ES, DASS DU IN MÄNNERGRUPPEN UNTERWEGS WARST?

In meinem persönlichen Umfeld gab es damals (so um 2005 herum) keine besonders ambitionierten Mountainbikerinnen, an denen ich mich orientieren hätte können. Jedenfalls nicht in für mich greifbarer Nähe. Aber ich wollte unbedingt auch die Alpen überqueren, ich wollte da mit, mit meiner Burschenrunde. Da hab ich dann halt trainiert wie narrisch. Ich hab mir gedacht, das, was ich den Männern körperlich und technisch nachstehe, mache ich mit Training wieder wett. Und das hat funktioniert.

DU HAST ALSO HAUPTSÄCHLICH ODER SOGAR AUSSCHLIEßLICH VON MÄNNERN GELERNT?

Damals ja, und zwar sowohl beim Skifahren/Snowboarden, als auch beim Mountainbiken und beim Windsurfen. Und das möchte ich auf keinen Fall missen. Meine männlichen Sportfreunde und Guides haben mich auf das Level gebracht, dass ich zumindest mithalten konnte bzw. damit wir alle gemeinsam Spaß an der jeweiligen Sportart hatten. Ich habe erst später entdeckt, dass mich ein weibliches Vorbild zusätzlich pushen kann. Es geht dabei aber definitiv nicht um ein „entweder oder“, Sport mit Männern oder Frauen, sondern um ein „sowohl als auch“.

"Ich spüre jedes einzelne Mal,
wenn ich in den Bergen mit Frauen unterwegs bin,
dass es mich stärkt und beseelt.
Und dieses Selbstvertrauen, dieses Selbstbewusstsein überträgt sich vom Tiefschneehang oder vom Mountainbiketrail
auf mein ganzes Leben."

ANJA SCHMIDT | Exploristas

WAS IST DER UNTERSCHIED FÜR DICH ZWISCHEN EINEM WEIBLICHEN UND EINEM MÄNNLICHEN VORBILD ODER GUIDE?

Diesbezüglich hatte ich erst 2018 ein Schlüsselerlebnis beim Biken in Italien. Wir waren eine gemischte Gruppe auf sehr hohem Bike-Niveau, mich ausgenommen. Es war mir technisch und letztlich auch körperlich zu anspruchsvoll. Das erschöpft dann im Tagesverlauf natürlich. Dann hat mir eine der Frauen aus der Gruppe vorgeschlagen, ihr beim anstehenden Downhill zu folgen. Das hab ich gemacht, ich hab ihr einfach blind vertraut und bin ihr genau nachgefahren. Im Ergebnis bin ich dann Passagen und Schlüsselstellen gefahren, die ich mir vorher nie zugetraut hätte. Beim Nachfahren einer -mir unbekannten- Mountainbikerin hatte ich wohl das Gefühl, dass sie als Frau perfekt einschätzen kann, was für mich möglich ist und was nicht.

DAS VERTRAUEN IN DIE ÄHNLICHKEIT IST HIER ALSO DER SCHLÜSSEL ZUM SPORTLICHEN ERFOLGSERLEBNIS?

Ja, ich denke schon. Man kann sich als Sportlerin mit einer weiblichen Kollegin oder einem weiblichen Vorbild einfach besser identifizieren. Wenn ich sehe, dass sie das kann, wächst das Vertrauen in mich selbst und meine Fähigkeiten. If she can see it she can be it – wie es so treffend heißt.

LÄSST SICH DIESES PRINZIP DER STÄRKUNG DURCH WEIBLICHE VORBILDFUNK-TION UND WEIBLICHE UNTERSTÜTZUNG AUCH IN DEINEM BERUF ODER ANDEREN GESELLSCHAFTLICHEN BEREICHEN UMSETZEN?

Sicher, ja. Die Bestärkung von Frauen durch Sport und dabei insbesondere durch das Anbieten bzw. Fördern weiblicher Rolemodels ist ja nur einer von vielen Ansätzen für Women´s Empowerment. Es geht um weibliches Selbstbewusstsein durch gegenseitige Unterstützung, im Privaten und natürlich auch im Arbeitsumfeld – you can´t be what you can´t see!

GAB ES EINEN AUSLÖSER, DER DICH IM SPORT DARAUF AUFMERKSAM GEMACHT HAT, DASS WOMEN´S EMPOWERMENT AUCH HIER GEBRAUCHT WIRD?

Ehrlich gesagt ist mir das Konzept des „women´s empowerment through sports“ noch gar nicht so lange bekannt. Mir war vor allem nicht bewusst, dass auch ich im Sport-Bereich „Empowerment“ brauche. Was bedeutet das überhaupt, „Women´s Empowerment“? Das lässt sich für mich am besten anhand meiner beiden Schlüsselerlebnisse beschreiben:

2018 habe ich Regina Knünz, die Vereinsvorsitzende von exploristas, bei einem all-female Freeride Camp mit Sandra Lahnsteiner in Gastein kennen gelernt, sie hat mich dann kurz darauf zu einem Skitouren Camp mit Lorraine Huber am Arlberg gebracht. Dort hat sich mir dann der „Zauber des weiblichen Lernumfelds“ endgültig erschlossen: in meiner Gruppe waren, wie schon in Gastein, lauter Mädels auf unglaublichem Niveau. Bereits das hatte einen beflügelnden, „empowering“ Effekt – wenn man in einer Gruppe starker Frauen Ski fahren darf. „Stark“ sowohl vom Sportlichen als auch der Persönlichkeit her, wenn links und rechts Mädels an einem vorbei shredden und man einfach Freude beim Zuschauen und Dankbarkeit für´s Dabeisein-Dürfen hat, das pusht und inspiriert und bestärkt unglaublich. Mir wurde plötzlich bewusst, dass es so viele beeindruckende Frauen "da draußen" gibt, sie waren nur bislang nicht sichtbar für mich. Im weiblichen Lernumfeld habe ich mir einfach mehr zugetraut - wenn sie das kann, probiere ich es auch!
Um die Bedeutung von Vorbildern geht es auch bei meinem zweiten Schlüsselerlebnis betreffend Women´s Empowerment: bei dem erwähnten Skitouren-Camp am Arlberg waren Regina und ich also mit lauter sensationellen Skifahrerinnen unterwegs, Skilehrerinnen oder aus dem Skirennlauf kommend usw. An einem Skitourentag standen wir mit unserer Guide Gerlinde, der ersten Bergführerin Österreichs, vor der Roggalscharte und haben gerätselt, wie diese Spuren da wohl rein gekommen sind. Kurz darauf hat sich herausgestellt, dass die Spuren aus der Vorwoche von einer unserer anderen Guides war, Melissa Presslaber. Und wir alle, diese höchst passionierten Skifahrerinnen während eines all-female Camps, hatten ausschließlich den männlichen, waghalsigen Abenteurer vor dem geistigen Auge gehabt. Dieses Erlebnis, dieses konditionierte Männerbild im Kopf von Sportlerinnen, die selbst extrem stark Ski fahren, war ein echter „eye opener“.

ANJA SCHMIDT | Exploristas

 

"Die Sichtbarkeit weiblicher role models im Outdoor-Sportbereich ist entscheidend – es gibt sie nämlich, sie sind da draußen, die beeindruckenden Sportlerinnen."

AUF EINEM FRAUEN SKI CAMP HABEN SICH REGINA KNÜNZ UND DU ALSO KENNENGELERNT. UND DER REST IST GESCHICHTE? BZW. IN DIESEM FALL WOHL EHER ZUKUNFT… WAS IST DENN EUER ZIEL MIT EXPLORISTAS

Wir wollen möglichst viele Mädchen und Frauen inspirieren und zu Outdoor-Aktivitäten im weiblichen Lernumfeld motivieren. Ein besonders wichtiges Anliegen ist es uns, dabei auch zu mehr Sichtbarkeit österreichischer (Outdoor-)Sportlerinnen beizutragen, ihnen insbesondere mehr Medienpräsenz zu verschaffen. Mit exploristas möchten wir weibliche Vorbilder für sport-interessierte Mädchen und Frauen mehr ins Rampenlicht rücken, denn: „sichtbar ist machbar“.

DARAUS IST DANN ALSO DAS BEDÜRFNIS ENTSTANDEN, AKTIV ZU WERDEN. UND WAS GIBT DIR DAS PROJEKT, DIE EXPLORISTAS INITIATIVE BISHER ZURÜCK?

Es ist wunderschön, das zu tun, wofür man brennt. Ich mache das nebenberuflich, exploristas ist mein Herzensprojekt und ich bin absolut überzeugt von der Wichtigkeit und Sinnhaftigkeit der Initiative. Ich bin überzeugt, dass wir mit exploristas einen Unterschied machen, dass wir Spuren hinterlassen können – und zwar nicht nur im Schnee oder auf Trails.

DU VERBRINGST VIEL ZEIT MIT DEINEN NEFFEN- WACHSEN ALSO AUCH DIE BUBEN MIT EINEM NEUEN FRAUENBILD AUF, NICHT NUR DIE MÄDCHEN?

Meine Neffen wachsen jedenfalls mit der Selbstverständlichkeit auf, dass ihre Tante und ihre Mama dem Papa beim Skifahren immer davonfahren. Ich finde es essentiell, dass sich die jungen Mädchen an weiblichen Rolemodels orientieren können und mit einem neuen, modernen Frauenbild aufwachsen. Wenn sich aber gesamtgesellschaftlich etwas bewegen soll, dann braucht es ein partnerschaftliches Miteinander der Geschlechter. Gemeinsam geht es immer schneller. Nach meinem Verständnis ist Gender Equality und Feminismus nämlich genauso auch Männersache, weil es um Freiheit, um eine gerechtere Gesellschaft, um Chancengleichheit geht. Und die wird sicher eher erreicht, wenn schon die Buben mit einem starken Frauenbild und daher der Selbstverständlichkeit aufwachsen, dass auch Mädchen alles tun und damit alles erreichen können.

WEIL DU DAS MITEINANDER ERWÄHNST – FÜHLEN SICH MÄNNER AUSGESCHLOSSEN, WEIL ES BEI EXPLORISTAS UM ALL-FEMALE AKTIVITÄTEN GEHT UND WIE KANN MAN GEGEBENENFALLS GEGENWIRKEN?

Vielen Männern ist wahrscheinlich nicht bewusst, dass ihr privates und berufliches Leben sehr oft und ganz automatisch „all-male“ ist. Damit meine ich nicht nur typische Vorstandssitzungen, sondern im exploristas Kontext insbesondere den Sport-Bereich. Denken wir z. B. an den ambitionierten Skifahrer 30+, der fährt wahrscheinlich überwiegend mit seinen männlichen Freunden Ski, ohne dass er das zwingend als „Männerrunde“ wahrnimmt oder als „all-male Aktivität“ bezeichnen würde. Es ergibt sich für ihn einfach so – für Mädchen und Frauen hingegen nicht, wir müssen das aktiv suchen. Da will exploristas ansetzen bzw. beitragen. Wir finden all-female Aktivitäten wichtig, denn gerade wenn es um Mut und Risikobereitschaft geht, etwa beim Freeriden oder Mountainbiken, tun sich Mädchen und Frauen in gleichgeschlechtlichen Gruppen leichter und lernen spielerischer. Die dabei gewonnen Erfahrungen, das gestärkte Selbstvertrauen – davon profitieren alle, auch das männliche Umfeld. Zumal es ja nicht darum geht, Sport nur mehr mit Frauen zu machen, sondern um ein „sowohl als auch“.

"Jedes Mädchen, jede Frau soll gleichberechtigt Möglichkeiten haben, ihre Träume und Ziele verfolgen zu können. Um diese Träume erst entstehen lassen und dann in Ziele umwandeln zu können, helfen starke Vorbilder ungemein.
You can’t be what you can’t see."

Anja-03254

WIE KANNST DU PERSÖNLICH WOMEN´S EMPOWERMENT NOCH BRAUCHEN?

Ich spüre jedes einzelne Mal, wenn ich in den Bergen mit Frauen unterwegs bin, dass es mich stärkt und beseelt. Und dieses Selbstvertrauen, dieses Selbstbewusstsein überträgt sich vom Tiefschneehang oder vom Mountainbiketrail auf mein ganzes Leben.

WELCHE EIGENE ERKENNTNIS MÖCHTEST DU SELBST ALS ROLEMODEL KOMMENDEN EXPLORISTAS VERMITTELN?

BE MORE PIPPI!
Das Pippi-Persönlichkeitsbild – unangepasst, wild und frech und wunderbar – passt natürlich nicht für jeden Menschen, Annikas sind genauso wichtig und vor allem: richtig! Aber gerade für junge Mädchen finde ich die mit Pippi verbundene Botschaft der Unbegrenztheit so wunderbar: alles ist möglich, verfolge deine Träume und geh' deinen individuellen Weg.
Es ist so wichtig, dass sich Mädchen und Frauen zusammentun, Netzwerke bilden und nutzen, sich gegenseitig unterstützen, einander inspirieren und motivieren … das ist aber kein Verbünden gegen Männer, sondern für ein gleichberechtigtes Miteinander.